„Das Ende aller Dinge wird aller Schuld Vergessung sein.“
Romeo Castellucci und Teodor Currentzis kehren für ein ungewöhnliches Programm nach Salzburg zurück: Herzog Blaubarts Burg von Béla Bartók, gekoppelt mit De temporum fine comoedia von Carl Orff — zwei Werke, die auf formaler Ebene wie Gegensätze scheinen.
Herzog Blaubarts Burg, ein Höhepunkt im Musiktheater des frühen 20. Jahrhunderts, wurde 1911 auf einen Text von Béla Balázs komponiert. Die Geschichte von Blaubart hat ihren literarischen Archetyp in Charles Perraults Märchen und erzählt von einem Frauenmörder, der seiner von Neugier getriebenen jüngsten Gemahlin verbietet, eine Tür zu öffnen, hinter der er ihre getöteten Vorgängerinnen versteckt hat. Bartóks Oper entwickelt sich ganz aus dem Dialog zwischen den beiden Protagonisten, Blaubart und Judith, und offenbart eine Auffassung des Dramas als eine Art geistiges und emotionales Kraftfeld. „Wo ist die Bühne: außen oder innen?“, heißt es im Prolog, als Einladung an die Zuschauerinnen und Zuschauer, sich Fragen über das rätselhafte Wesen des Theaters als Widerschein des Realen zu stellen.
Judith hat ihre Eltern und den Mann, der sie liebte, verlassen, um Blaubarts Frau zu werden. Er führt sie in seine dunkle, fensterlose Burg — eine steinerne Behausung, doch zugleich ein fühlender Raum, der weint, bebt und stöhnt und in dem sich sieben verschlossene Türen befinden. Die junge Frau will erfahren, was die verbotenen Zimmer enthalten, und sie mit Licht und Wärme erfüllen. Obwohl Blaubart sie von ihrem Wunsch abzubringen versucht, verlangt Judith die Schlüssel und öffnet die Türen eine nach der anderen: Sie erblickt Foltergeräte, Waffen, Schätze, Geschmeide, einen Garten — und überall entdeckt sie beunruhigende Spuren von Blut. Die siebente Tür schließlich enthüllt Blaubarts frühere Ehefrauen, in reiche Gewänder gekleidet: die Frauen des Morgens, des Mittags und des Abends. Mit Juwelen geschmückt und in einen Sternenmantel gehüllt, wird Judith zur Frau der Nacht. Die Konzentriertheit der Handlung, das Fehlen räumlich-zeitlicher Koordinaten und die unergründliche Atmosphäre verweisen auf eine Reise, die sich ganz im Inneren vollzieht.
Das Thema von De temporum fine comoedia hingegen ist das Jüngste Gericht, in einer Reinterpretation, die in Orffs persönlichen religiösen Anschauungen wurzelt. Die Erstellung des Textes in Altgriechisch, Latein und Deutsch beschäftigte den Komponisten ein ganzes Jahrzehnt bis 1970, wobei der Wesenskern des Werkes zunehmend von der apokalyptischen Vision des alexandrinischen Theologen Origenes bestimmt wurde, in der am Ende der Zeiten auch den Dämonen Vergebung und Rettung zuteilwird.
Im ersten Teil der Comoedia verkünden neun Sibyllen das bevorstehende Weltende und die ewige Verdammnis der Gottlosen. Diesen Prophezeiungen setzen neun Anachoreten im zweiten Teil ein entschiedenes „Nein“ entgegen: Jener letzte Tag wird, so erkennen die gelehrten Eremiten, nicht als Triumph eines strafenden Gottes hereinbrechen, sondern als Aufnahme des Bösen in das Göttliche. Die Tilgung aller Schuld und die Rückkehr aller Wesen zu Gott finden im dritten Teil ihren Höhepunkt in der Rückverwandlung Lucifers in den „Lichtbringer“ von einst. Seine Bitte um Vergebung kleidet der gefallene Engel in Worte aus dem Gleichnis vom verlorenen Sohn: „Pater peccavi.“
Orffs Oratorienoper, die Romeo Castellucci und Teodor Currentzis erstmals seit der Salzburger Uraufführung im Jahr 1973 wieder auf die Festspielbühne bringen, überwältigt durch ihre urtümliche Energie. Diese resultiert nicht zuletzt aus beharrlich wiederholten rhythmischen Mustern, einem mechanischen Bewegungsprinzip, das eine Vielzahl von Personen erfasst und von der Choreografin Cindy Van Acker in Körperpartituren übersetzt werden wird. Die Atmosphäre, die Herzog Blaubarts Burg durchdringt, ist diametral entgegengesetzt: Castellucci begegnet der düsteren Intimität eines Dramas ohne äußere Aktion, indem er auf den Blickpunkt von Judith fokussiert — und auf ein Trauma, das ein Theater der Psyche entfesselt.
Das Nebeneinander der beiden Werke offenbart tiefe Verbindungen, und es scheint, als würde das Weltgericht Judith gelten, als hätte sie selbst ein Verbrechen begangen …
Piersandra Di Matteo